20. Januar 2018

Churubamba Frauen am Ball

Von Che Futbol - Fußball in Lateinamerika, Themen Sport | Newsletter - 2018 - 02 Februar

Churubamba Frauen am Ball

Ein Bericht über die Arte-Reportage „Churubamba Frauen am Ball“, eine Dokumentation über Fußball am Rande der Zivilisation und Menschen am Rande der Gesellschaft, die gleichzeitig beeindruckt und betroffen macht.

Churubamba (was Schnecke auf Quechua bedeutet) befindet sich in den peruanischen Anden, auf knapp 4.000 Metern über dem Meeresspiegel. In dem Bergdorf wohnen 58 Familien mehr oder weniger verstreut am Hang, die eigentlich nur zum Fußball zusammenkommen. Es gibt keinen Strom, keinen Laden, es hält kein Bus, und der nächste Ort ist eine Stunde entfernt. Die Einwohner sind Nachfahren der Quechua-Indianer, und leben von Viehzucht und sehr schwierig zu betreibendem Ackerbau, da in dieser Höhe der Boden schlecht ist, und es oft zu Erdrutschen kommt. Wer dort oben wohnt, führt ein hartes und monotones Leben, in dem auch die Kinder im Grundschulalter schon bei der Arbeit mithelfen müssen.

Überwiegend werden Weizen, Kartoffeln und Saubohnen angebaut, der Großteil davon zum Eigenverbrauch, der Rest wird in der Stadt verkauft, um dafür Klamotten, Salz und Öl zu kaufen. Für 1 Kg Weizen gibt es im Tal ca. 30 Cent, für die anderen beiden Erzeugnisse nicht einmal 20 Cent pro Kilo. Am Markt in der Stadt nimmt niemand Rücksicht darauf, unter welch harten Bedingungen sie in der Höhe leben und arbeiten, im Gegenteil man versucht sogar den Preis zu drücken. Dagegen benötigt man im Ort selbst eigentlich überhaupt kein Geld um den Alltag zu bestreiten, da alle von der eigenen Ernte leben, und es wie erwähnt auch keinen Laden gibt.

Aus: Karte des Verkehrsministeriums 2007

 (Churubamba befindet sich ca. 40 min. mit dem Auto von Urcos (Roter Stern) entfernt.)

„Wir leben in der Dunkelheit. Man hat uns vergessen“

Im Grunde lebt man in Churubamba immer noch wie vor einigen hundert Jahren, nur dass die Häuser besser sind, und dass man weiß, dass es „unten“ eine andere, „bessere“ Welt gibt, von der man aber auch weiß, dass man in ihr nicht zurechtkommen würde. Dennoch ist man überzeugt davon, dass es die Kinder dort besser haben würden als in Churubamba. Es gibt eine Dorfschule, in der den Kindern unter anderem erklärt wird, dass die Indianer in Peru immer noch unter der Eroberung des Kontinents durch die Spanier leiden – im heutigen Peru sind sie Menschen dritter Klasse -, und dass man trotzdem stolz sein kann auf die eigene Herkunft. Die Stifte bezahlt der Lehrer aus eigener Tasche, und drei Kinder gucken gemeinsam in ein Buch, zudem gibt es einen Ball mit dem in der Pause Fußball gespielt wird. Entweder die Jungs oder die Mädchen, je nach dem wer ihn sich schneller schnappt. Auf die weiterführende Schule im nächsten Ort ist in den letzten 15 Jahren noch keines gegangen, einerseits da die Kinder mitarbeiten müssen – die Hausaufgaben machen sie meistens nachts vor dem Ofenfeuer –, und da es sich sowieso niemand leisten kann. Doch seitdem die Frauen in Churubamba angefangen haben Fußball zu spielen, und sie im Jahr 2000 die Andenmeisterschaft gewannen, sind sie selbstbewusster geworden. Jetzt setzen sie sich aktiv für die Verbesserung ihres Lebens und vor allem dem ihrer Kinder ein. Sie sollen nicht das gleiche Leben haben wie sie selbst.

Das Filmteam begleitet die 36-jährige Juana Estrada in ihrem Alltag, zeigt ihr Familienleben und sie beim Fußball. Mit ihrem Mann Valentin hat sie fünf Kinder, darunter den 6-jährigen schwerbehinderten Alejandro, dessen Krankenhausbehandlung die beiden nicht einmal in Raten abstottern könnten – das Geld reicht nicht einmal um Fleisch zum Essen zu kaufen-, und sie daher nur auf dessen Tod warten können. Juana wünscht sich manchmal, dass er durch eine plötzliche Krankheit stirbt und nicht mehr leiden muss. Die anderen Dorfbewohner glauben, dass die Behinderung eine Strafe der Götter ist, für etwas was sie früher getan hat. Selbst die Geburt ihrer gesunden Zwillinge wurde als Strafe erachtet, da diese als doppelte Last in der Höhe angesehen werden. Juana selbst sagt, dass sie nach der Geburt Mitleid für die Säuglinge empfand, da sie nicht wusste wie sie diese großziehen sollte. Die nachdenkliche Frau erzählt, dass sie immer müde sei, und dass sie ein besseres Leben gehabt hätte, wenn sie allein geblieben wäre.



Die Andenmeisterschaft

1996 wurde die Andenmeisterschaft im Frauenfußball gegründet, um den Austausch zwischen den indigenen Gemeinden zu fördern. Die Reisekosten finanziert der Bürgermeister der Kreisstadt Andahuaylillas. In dem Wettbewerb spielen verschiedene Dörfer gegeneinander, und jedes Spiel ist Grund für ein kleines Fest. Der Fußball stellt die einzige Unterbrechung des Alltags dar, einen Moment der Freude, fast ein anderes Leben.

„In meinem Leben gibt es nur wenig Anlass für Freude. Es ist immer Arbeit – harte Arbeit auf den Feldern, mit den Tieren, mit den Kindern. Und Fußball ist die einzige Unterbrechung, die ich habe. Das ist einer der wenigen Momente, in denen ich etwas für mich selbst tue. Ich treffe die anderen Frauen und kann endlich lachen. Auf dem Fußballfeld fühle ich mich dann wie eine andere. Für Augenblicke bin ich glücklich und vergesse alles.“ (O-Ton Juana)

Es ist der einzige Moment in dem das ganze Dorf zusammenkommt, ansonsten lebt man im Dorf mehr aneinander vorbei als miteinander. Seit etwas mehr als zwei Dekaden gibt es Frauenfußball in Churubamba, der wie überall auf der Welt auch hoch oben in den Anden Schwierigkeiten hatte, sich gegen die Ablehnung und den Argwohn der Männer durchzusetzen.

„Zuerst waren wir Männer dagegen, dass auch die Frauen Fußball spielen. Die Arbeit auf den Feldern, mit den Tieren und den Kindern lässt ihnen doch keine Zeit für Spiel und Spaß. Doch sie haben gedrängt und gedrängt, bis wir uns damit abfinden mussten.“ (O-Ton Valentin)

Trainieren tun die Frauen nur vor wichtigen spielen, normalerweise ist das Arbeiten in der dünnen Luft genug Training, und vor dem Spiel wird zusätzlich ein Kokablatt gegessen um die Ausdauer zu stärken. Es ist ein eigentümliches Bild die Frauen in ihrer bunten Tracht mit Hut, die sie ihr ganzes Leben lang tragen, und Sandalen an den Füßen befreit dem Ball nachjagen zu sehen. Die vom harten Alltag geprägten Gesichter brauchen ein bisschen Zeit, bis sie ihre Ernsthaftigkeit verlieren, und sie Freude ausstrahlen. Die Spiele dauern keine 90 Minuten, und das Feld sowie die Tore sind kleiner; hier nennen sie es „Fulbito andino“ (kleiner Anden-Fußball).

„Die Fußballwelt außerhalb unserer Berge kennen wir nicht. Wir wissen nicht, wer dort alles spielt, wer die Meister sind, was sie tragen und nach welchen Regeln alles läuft. Wir spielen nur, um für Momente glücklich zu sein, um Spaß zu haben. Von Technik und Taktik verstehen wir nicht viel. Wir spielen aber mit unserem Herzen, mit unserem ganzen Willen. Und das vereint uns zu einer einzigen Kraft. So ist Fußball für uns.“ (O-Ton Juana)

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ARTE / © Medienkontor FFP

Spiel 1: Manco – Churubamba 0:1

Das erste Spiel des Turniers ist gegen das „Nachbardorf“ Manco, das 16 Km und einige hundert Höhenmeter entfernt ist. Der Tross aus Frauen, Kindern und Lamas der sich von Churubamba aus ins Tal aufmacht, benötigt für das Bergauf-Bergab vier Stunden, und selbst den Lamas ist die Anstrengung bei der Ankunft anzumerken. Doch während sich die Tiere nach der Anreise ausruhen dürfen, müssen die Frauen nach dem Empfang durch ein 4-Mann Orchester sofort spielen, denn sonst würden sie nicht mehr vor der Dunkelheit zurückkommen. Die Teams unterscheiden sich in der Farbe ihrer Röcke, die sich außerdem hervorragend zum Ballherunterstopppen eignen. Churubamba gewinnt das Spiel mit 1:0, und freut sich riesig über die von der Kreisstadt gestiftete Siegprämie in Höhe von elf Meerschweinchen, die bei den Quechuas als Delikatesse zählen.

Spiel 2: Huilloc – Churubamba 1:0

Die zweite Begegnung findet im 170 Km entfernten Quechua-Dorf Huilloc statt. Die fünfstündige Anreise mit den Kindern im Gepäck findet im Stehen auf der Ladefläche eines LKW statt. Doch die Frauen genießen die Fahrt durch das für sie eigene, fremde Land, und schauen die ganze Zeit in die Landschaft hinaus. Auf der Fahrt kommen die Frauen zum ersten Mal in ihrem Leben an Cuzco vorbei, der ehemaligen Inka-Hauptstadt. In Huilloc müssen die Frauen zu ihrem Erschrecken auf einem normalen Großfeld spielen, und verlieren das von den Gegnerinnen hart geführte Spiel unglücklich durch ein Gegentor in der letzten Spielminute. Die Stimmung nach Abpfiff ist dementsprechend gedrückt, vor allem da man neben dem Ansehen auch noch elf Hühner an die Rivalinnen verloren hat. Erst das eigens mitgebrachte geröstete Meerschweinchenfleisch und Maisbier, das mit den Frauen aus Huilloc geteilt wird, bricht das Eis.

Spiel 3: Urcos – Churubamba 0:1

Das dritte Duell findet im Tal beim Erzrivalen Urcos statt, der Stadt der Mestizen, die es aufgrund der Weberei-Industrie zu gewissem Wohlstand gebracht haben, und die inzwischen sogar ans Stromnetz angeschlossen wurde. Vor dem Spiel suchen die Frauen gemeinsam den Dorfschamanen auf, um sich den Spielausgang vorhersagen zu lassen. Nach einem für Außenstehende nicht sehr überzeugenden Ritual das hin-und-herging, verkündet der Schamane, dass die Damen das Spiel gewinnen würden. Jedoch sollen sie vor dem Spiel heimlich mit Knoblauch eingeriebene Kokablätter neben dem Stadion vergraben, und zusätzlich die Beine mit Kräutern und Tonerde einreiben um die Muskeln zu stärken. Aber die Mannschaft kommt erst kurz vor Spielbeginn an, und hat keine Zeit mehr die Blätter zu vergraben. Trotzdem läuft das Spiel auch so ganz gut, und es steht 0:0 Unentschieden zur Halbzeit. In der Pause werden die Kinder gestillt, und die Beine mit der Kräuterpaste des Schamanen eingerieben. Und tatsächlich, nach Schlusspfiff steht ein 1:0 Auswärtssieg fest. Als Preis erhalten die glücklichen Frauen 1.000 KG Saatkartoffeln, von deren Ernte ihre Familien einige Zeit lang leben können.



Rezension

„Frauen am Ball“ lässt sowohl den Fußballfan als auch den fußballneutralen Zuschauer betroffen, und mit dem Gefühl des helfen-wollens zurück. Die eindrucksvollen Bilder der Anden bleiben bei dem harten, eintönigen, und selbst aus Quechua-Sicht perspektivlose Leben auf knapp 4.000 Metern Höhe, leider fast nicht in Erinnerung. Durch den rein deskriptiven Kommentar, rücken die Aussagen der Frauen in den Mittelpunkt, und damit deren stoische Art das beste aus ihrer Situation zu machen. Die fast durchgehend mitschwingende Melancholie erreicht ihre Höhepunkte in den wenigen Momenten in denen selbst bei Juliana, der Protagonistin, eine Spur von Verzweiflung ihren Kampfeswillen durchdringt. Man weiß nicht wann man sich hilfloser fühlen soll in der Reportage, entweder als das Schicksal des schwerbehinderten Sohnes Alejandro gezeigt wird, oder als Juliana versucht vor einem Spiel noch etwas Weizen am Straßenrand zu verkaufen, und wo sie trotz aller Mühen und Schwierigkeiten einen schlechteren Preis als die anderen Händler erzielt, nur weil ihr Spanisch zu schlecht ist um richtig verhandeln zu können.

Den Fußballfans sei gesagt, dass „Frauen am Ball“ dem Geschäft Fußball mit Ablösesummen von über 200 Mio. € und chinesischen U21-Teams in der Regionalliga Südwest einmal mehr seine Perversität vor Augen führt. Dies ist die eine Seite dieses Sports, die dessen Begeisterungsfähigkeit und Schönheit bis in den letzten Winkel kommerzialisiert hat, und es trotz der unmenschlichen Summen immer noch schafft die Momente der unbändigen, kindlichen Freude zu erzeugen.

Auf der anderen Seite stehen die Frauen in Churubamba, wo der Fußball eine wichtige soziale Rolle einnimmt, und die ihn in seiner ursprünglichsten Form unbekümmert genießen. Wobei die Enttäuschung und die versteinerten Mienen nach der Niederlage in Huilloc, als man die Siegprämie in Höhe von elf Hühnern verlor, sogar beim Zuschauer am Bildschirm Mitgefühl auslösen. Am Ende der Dokumentation ist das Mitleid mit Juana über ihr hartes Leben größer, als die Freude, darüber wie der Fußball das Leben der Frauen dennoch bereichert, sie selbstbewusster macht, und ihnen in ihrem sozialen Umfeld hilft. In anderen Worten: „Frauen am Ball“ ist zweifelsfrei eine sehr zu empfehlende Dokumentation, über einen Ort wo man dem Fußballgott sicherlich näher ist als dem Rest der Erde, und die einmal mehr zum Nachdenken über das Geschäft Fußball anregt.

 

Über den Autor

Che Futbol - Fußball in Lateinamerika

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